Erinnerung an David Kapp
(Fotos sind nur zur privaten Verwendung freigegeben, © Marcus Beer)
David Kapp
Alte Mainzer Straße 8
Über mehrere Generationen hatte die weit verzweigte Familie Kapp in Hechtsheim gewohnt. Etliche der Kapps waren hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Viehhändler tätig gewesen. Benjamin Kapp, 1791 geboren, war neben Simon Selig einer der beiden ersten uns bekannten israelitischen Haushaltsvorstände im Dorf. Aus Weisenau stammend, war Benjamin Kapp 1814 in Hechtsheim eingebürgert worden. Er war David Kapps Urgroßvater, der seine Kinder in den 1820er Jahren in die örtliche Volksschule schickte. Eines dieser Kinder war der 1818 in Hechtsheim geborene David, dessen Vorname an den Enkel weitergegeben wurde.
Dieser Enkel, David Kapp, wurde am 25. November 1882 als Sohn des Handelsmannes Emanuel Kapp und seiner Frau Mathilde, geborene Schlösser, in Hechtsheim geboren. Das Ehepaar hatte drei Kinder: die 1880 geborene Johannette, den 1882 geborenen David und den Sohn Karl, der 1885 zur Welt gekommen war. Der Vater, 1850 geboren, war Hechtsheimer; die Mutter stammte aus Sörgenloch und war dort 1852 geboren worden. Das Haus Mainzer Straße 8 – heute: Alte Mainzer Straße 8 – war elterlicher Besitz und ging nach dem Tod des Vaters 1928 an den Sohn David über. Die Mutter war bereits 1917 verstorben. Emanuel und Mathilde Kapp sind auf dem jüdischen Friedhof Hechtsheim beerdigt.
David Kapp hatte mit dem Haus seiner Eltern auch das kleine Textil- und Kurzwarengeschäft vom Vater übernommen und verdiente seinen Lebensunterhalt zum Teil durch Hausieren, eine in damaliger Zeit gerade auf dem Land weit verbreitete Form des Warenverkaufs. Im Mai 1931, einer durch die weltweite Finanzkrise geprägten Zeit, bot er im „Hechtsheimer Anzeiger“ auch „Ia junges Ochsenfleisch“ aus Hausschlachtung zum Verkauf an. David Kapp war ein Mann von kleiner, untersetzter Statur und blieb unverheiratet. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Karl war 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg mit 31 Jahren gefallen. Die ältere Schwester Johannette hatte 1906 Hugo Mayer aus Ober-Ingelheim geheiratet und war dorthin gezogen.
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernommen hatten, musste David Kapp in den Folgejahren alle Demütigungen und Schikanen ertragen, mit denen die Nazis die Juden drangsalierten und unter ständige Kontrolle stellten, in einer kleinen Gemeinde wie Hechtsheim mehr noch als in der Stadt. Er wird nicht mehr gewagt haben, von Haus zu Haus zu gehen, um Ware anzubieten. Wenige, die ihn achteten und trotz Verbots weiterhin grüßten, werden ihm heimlich etwas abgekauft haben, wenn es den örtlichen Nazis nicht auffiel.
Gleichwohl versorgte David Kapp noch bis in die ersten Kriegsjahre seinen Acker und Garten in der Gemarkung, nicht zuletzt der Not der Selbstversorgung geschuldet. In der Pogromnacht des 9./10. November 1938 wurde auch sein Haus heimgesucht. Am Tag danach hielten ihn SA-Männer aus dem Fenster im ersten Stock seines Hauses und weideten sich an seiner Angst, unter dem Gejohle Schaulustiger. Niemand griff helfend ein.
Dennoch blieb David Kapp in seinem Haus in der Mainzer Straße – während der NS-Zeit in Adolf-Hitler-Straße umbenannt – wohnen, als nach der Pogromnacht die wenigen noch in Hechtsheim verbliebenen Juden fliehen mussten. Die Gemeinde war seine Heimat und die seiner Vorfahren. Von hier aus war sein Bruder Karl „für Volk und Vaterland“ in den Krieg gezogen und hatte sein Leben gelassen. Wie viele jüdische Bürgerinnen und Bürger konnte wahrscheinlich auch David Kapp sich kaum vorstellen, dass Deutschland unter der NS - Herrschaft seinen gewaltsamen Tod im Auge hatte.
Von Hechtsheim aus wurde David Kapp über Mainz und Darmstadt am 30. September 1942 deportiert und im Alter von knapp 60 Jahren, vermutlich in Treblinka, ermordet. Auf der erhalten gebliebenen Liste der Gestapo Darmstadt mit 883 Namen der Opfer aus dem Gebiet des früheren Volksstaates Hessen steht zynisch „Wohnsitzverlegung nach dem Generalgouvernement“.
Auch David Kapps ältere Schwester Johannette wurde mit diesem Transport in den Tod geschickt. Am 23. November 1880 in Hechtsheim geboren, war sie nach dem Tod ihres Mannes in der Ingelheimer Heimesgasse 14 wohnen geblieben. Beide Geschwister trugen die Nummern 787 und 805 dieser Transportliste des Massenmordes. In diesen Transport
gezwungen wurden ebenfalls die Hechtsheimer Ehepaare Julius und Elisabeth Weiß sowie Max und Recha Weiß mit ihrer Tochter Ilse.
Quelle: Verein Hechtsheimer Ortsgeschichte, Bearb. Frau Renate Knigge-Tesche.
Bilder: © Marcus Beer
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Ich bin das Seitenende und soll den Balken unter mir festhalten.